Warum an Employer Branding kein Weg mehr dran vorbei geht?
Auch kleinere und mittlere Unternehmen haben große Chancen bei der Fachkräftegewinnung / Heike Bartels, Expertin für Employer Branding, Kommunikation und Marketing, verrät, wie es geht.
In Mecklenburg-Vorpommern wie auch in ganz Deutschland herrscht Fachkräftemangel. In Anbetracht der demografischen Entwicklung blicken viele Unternehmen zu Recht mit Sorge in die Zukunft. Jetzt gilt es dringend, erfolgversprechende Strategien für die Gewinnung neuer Mitarbeiter zu entwickeln und auf den Weg zu bringen. Viele Unternehmer haben den Begriff Employer Branding schon gehört und wissen, dass sich dahinter die Gewinnung von Fachkräften, also Personalbeschaffung, verbirgt. Die Gewinnung von neuen Mitarbeitern allerdings lediglich mit der Schaltung einer Stellenanzeige zu verbinden, ist ein großer Fehler. Denn zu einem erfolgreichen Employer Branding gehört noch sehr viel mehr. Wir sprachen darüber mit Heike Bartels, Expertin für Kommunikation, Employer Branding und Changeprozesse und geschäftsführende Gesellschafterin der Agentur just be GmbH in Braunschweig. Frau Bartels, reicht heute eine alleinige Anzeigenschaltung in der Zeitung aus?
Das ist etwas, was mir in meiner Praxis sehr häufig begegnet, frei nach dem Motto: „Wenn ich schon Geld ausgebe für ganze Recruiting-Kampagnen, dann will ich dafür auch einen ordentlichen Satz Bewerbungen auf dem Tisch zu liegen haben.“ Das kann aber nicht von heute auf morgen funktionieren. Gerade in diesen
Zeiten, in denen es mehr unbesetzte Stellen als qualifizierte Bewerber gibt, nehmen die Bewerber zumeist nur die Stellenanzeigen von Arbeitgebern wahr, die ihnen attraktiv, begehrenswert und vor allem auch bekannt erscheinen. Diese haben die meisten Chancen, überhaupt erst einmal wahrgenommen zu werden.
Welche Herausforderung bedeutet das für Unternehmen?
Für sie ist es sehr wichtig, sich in den Köpfen der Bewerberzielgruppen langfristig und nachhaltig als interessanter Arbeitgeber zu etablieren. Also ein gutes Image aufzubauen. Dafür müssen sie den Schalter umlegen und unbedingt strategischer und langfristig denken – eben systematisch die eigene Arbeitgebermarke aufbauen. Das heißt, genauso wie sich ein erfolgreiches Unternehmen mit seinen Produkten und Dienstleistungen im Markt positioniert, gilt es, sich gegenüber potenziellen Bewerbern als passender attraktiver Arbeitgeber darzustellen. Das ist Employer Branding, also Arbeitgebermarkenbildung. Es bereitet den Boden, bestellt das Feld für die Ernte von qualifizierten Mitarbeitern und ist damit ganz klar strategische Arbeit. Vor der Ernte muss man dieses Feld jedoch erst einmal bestellen. Recruiting als Teil des Employer Brandings ist dagegen temporär eingrenzbar. Dabei geht es eher darum, den Zielgruppen den entscheidenden Anstoß zugeben, die Stelle optimal zu besetzen. Nach dem Motto: „Schau mal, jetzt haben wir hier eine coole Stelle“. Unternehmen brauchen letztlich beides – den Aufbau der strategischen Arbeitgebermarke und die taktischen Recruiting-Maßnahmen, um ihren Personalbedarf decken zu können.
Employer Branding heute und vor fünf Jahren – was hat sich verändert?
Employer Branding gab es nach meiner Einschätzung schon immer, es hieß nur noch nicht so. Viele Unternehmer haben das einfach intuitiv schon getan. Viele auch nicht. Was hat sich verändert inden letzten fünf Jahren? Dass das Thema Personalbeschaffung zum Dauerbrenner und schlussendlich – das müssen sich viele noch klarmachen – zum Risikofaktor Nr. 1 für Unternehmen geworden ist. Dem wird auch in vielen Chefetagen vor allem der größeren Firmen Rechnung getragen mit größeren Budgets, mit Personalvorstandsposten. Gute Fachkräfte haben aufgrund der Arbeitsmarktsituation die Qual der Wahl.
Welche Ansprüche haben denn heute junge Fachkräfte an ihren künftigen Arbeitgeber?
Die Ansprüche der heutigen jüngeren Generation haben sich geändert und sind mit einem guten Gehalt nicht abgetan. Das wird vorausgesetzt, muss stimmen, ist aber nur ein Hygienefaktor. Das wird gecheckt und abgehakt. Auf der Prioritätenliste ganz oben steht die Entwicklung des Bewerbers, nicht nur fachlich, sondern als Persönlichkeit. Die jungen Menschen möchten vorankommen. Natürlich auch eine gesunde Work-Life-Balance haben. Letztendlich eine gute Unternehmenskultur. Meine Empfehlung: Wer sich als Arbeitgeber ernsthaft mit diesen Schlüsselmotivationen der jungen Zielgruppen auseinandersetzt und nicht nur versucht, seine Website neu anzustreichen und ein paar Triggerworte einzufügen, sondern die Voraussetzungen, die Arbeitsumgebung und authentische Einblicke in seine Arbeitswelt nach draußen vermitteln kann, der hat echte Chancen, qualifizierte und auch engagierte Fachkräfte zu gewinnen. Aber an diesen Einsichten kein Weg mehr dran vorbei.
Was können kleinere Unternehmen in die Waagschale werfen? Was raten Sie denen?
Sie haben eine ganze Menge, mit dem sie punkten können. All das, was in großen Unternehmen vorgegeben und starr ist, als da wären flache Hierarchien. Es reicht nicht, dieses Schlagwort nur auf die Homepage zu schreiben. Man muss das erlebbar machen, erklären und glaubhaft machen können. Eine super Unternehmenskultur ist mittlerweile ganz oft das Entscheidungskriterium. Wenn alle Konditionen stimmen und ich kann zwischen mehreren Jobangeboten wählen, dann entscheide ich mich doch für das Unternehmen, in dem ich das Gefühl habe, der Spirit stimmt. Schließlich werde ich ja einen Großteil meines Lebens dort verbringen. Dieser Fakt wird häufig unterschätzt, weil es für die Firmen nicht greifbar ist. Natürlich sind auch individuelle Entwicklungsperspektiven wichtig. Das können kleine Unternehmen manchmal viel eher leisten, weil sie, wenn sie wollen, flexibler in der Organisationsstruktur und -entwicklung und näher am Menschen dran sind. Im Gegensatz zu den Großen können sie viel schneller sein und beispielsweise schon einen Vertragsentwurf vorlegen, bevor der Bewerber beim großen Unternehmen überhaupt zum Vorstellungsgespräch eingeladen ist. Ich würde mir wünschen, dass die kleineren Unternehmen ihre Wendigkeit, ihre Schnelligkeit, ihre Entscheidungsfähigkeit und ihren Gestaltungsfreiraum einfach auch in Hinblick auf die Bewerber und den Arbeitsmarkt erkennen, wertschätzen und auch nutzen. Genau da liegt ihre Chance.
Wie können Sie als Expertin für Employer Branding den Unternehmen konkret helfen?
Es hängt natürlich immer davon ab, wie sehr sie die Herausforderungen schon erkannt haben. Hier kann ich helfen und herausarbeiten, wo das Unternehmen steht, wo die Herausforderungen liegen und was ihre Stärken sind. Das Ziel ist ja, potenziellen Bewerbern aufzuzeigen, wie es ist, bei diesem Unternehmen zu arbeiten. Und das ehrlich und authentisch. Es geht ja letztendlich um die Besonderheiten des Arbeitgebers. Vielleicht um eine besondere Haltung, um gelebte Unternehmenswerte, um Visionen. Der künftige Mitarbeiter muss wissen, was er dazu beitragen kann und Lust darauf bekommen. Es geht nicht um Hochglanz, also in einem teuren Video einen glücklichen Mitarbeiter nach dem anderen zu zeigen. Eine gute Arbeitgebermarke muss echt und transparent sein, muss Einblicke liefern, sie darf nicht austauschbar sein, nicht generisch. Es ist im Grunde wie beim Menschen: eine gewisse Offenheit, aber auch Ecken und Kanten, die jeder Mensch, jedes Unternehmen durch die kulturelle Prägung und die Arbeitsweise hat. Die ziehen letztlich an und differenzieren. Da kann man als Berater sehr gut helfen, herauszufinden, wer das Unternehmen als Arbeitgeber eigentlich ist und die Mitarbeiter als Zielgruppen zu verstehen. Und dann diese nachhaltige und authentische erfolgreiche Positionierung als Arbeitgeber zu entwickeln. Damit tun sich naturgemäß viele Unternehmen schwer. Von innen heraus ist das auch nicht leicht. Da hilft in der Regel die neutrale Sicht, die fachliche Kompetenz und Methodik eines externen Beraters enorm. Es geht ja in der Umsetzung darum, interne und externe Kommunikation aufzusetzen, Konzepte zu entwickeln, die wichtigsten Botschaften zu definieren, den richtigen Ton zu finden, die passenden Formate, den effizientesten Kanal sowohl nach intern, um die eigenen Mitarbeiter zu erreichen, als auch nach extern, um Bewerber zu erreichen. Da hilft natürlich immer Unterstützung von außen. Das hebt in der Regel Qualität und Zielsicherheit.
Auf der Homepage Ihres Unternehmens sprechen Sie von manchmal verrückten Lösungen. Hätten Sie ein Beispiel?
Es hängt immer davon ab, wie mutig ein Unternehmen ist. Die Deutsche Bahn beispielsweise musste 2019 insgesamt 10 000 Stellen für Niedrigqualifizierte besetzen. In einer großen Kampagne haben sie einfach die Schwellen gesenkt. Sie haben verbreitet, sie suchen Mitarbeiter, es werden aber keine Anschreiben mehr für eine Bewerbung benötigt. Man brauchte einfach nur in einem Formular seinen Kontakt eingeben und wurde zeitnah vom Unternehmen kontaktiert. So haben sie zig Tausende Bewerbungen generiert. Man verlagert zwar die Arbeit, die man den Bewerbern erlässt intern ins Personalmarketing. Aber dieser Weg war sehr erfolgreich. Das Unternehmen hat sich in die Denkweise der Bewerber versetzt und erkannt, dass ein Anschreiben und ellenlange Formulare ausfüllen eine Hürde sein könnten. Die Kampagne wurde mit einem Award ausgezeichnet. Das beeinflusst natürlich auch das Image des Unternehmens im positiven Sinne.
Wohin geht die Reise im Bereich Employer Branding?
Experten sprechen von Vollbeschäftigung in 2030. Das bedeutet, wir können heute selbst kündigen und haben morgen 10 000 andere Jobmöglichkeiten. Ein Paradies! Nur nicht für die Unternehmen…Es ist ja nicht die Konjunktur, die zu dieser Prognose führt, sondern die demografische Entwicklung. Zwei bis fünf Millionen heute noch arbeitende Menschen werden aus dem Arbeitsmarkt bis 2025 ausscheiden und fehlen. Im Umkehrschluss heißt das, jeder, der unternehmerisch tätig ist und Arbeitskräfte braucht, benötigt dringend Strategien. Wie er damit umgehen will und kann. Da sagen die Experten, dass es in zwei Richtungen gehen wird. Unternehmen werden zur sogenannten Fluid Company oder zur Caring Company, einem sich kümmernden Unternehmen. Die global agierenden Konzerne werden eher zu Ersteren gehören mit einer mega Professionalität und bis zu 40 Prozent Projektarbeitern, die systematisch angezogen und wieder abgestoßen werden. Das passiert heute schon, gerade in sehr IT-lastigen Unternehmen. Da wird sich ein Projektteammarkt bilden.
Welche Strategie verfolgen Caring Companys?
Mittelständische Unternehmen, die eher in der Fläche angesiedelt sind, werden sich zu den Caring Companys entwickeln. Sie werden möglichst viele Bindungen in das soziale Umfeld der Mitarbeiter aufbauen, nicht nur zu den Mitarbeitern selbst, sondern auch zu den Eltern, Lebenspartnern, den Kinder, den Sportvereinen, in den Kultur- und Freizeitbereich. Sie bauen also ein Corporate Life mit Gesundheit, Vorsorge, Wohnen, Familienplanung auf, auch mit dem Ziel, nicht nur Mitarbeiter zu gewinnen, sondern auch die Abwanderungsquote zu senken. Die Recruitingstrategien der Caring Companys konzentrieren sich dann auf sogenannte Nischenzielgruppe wie Studienabbrecher. Die andere Säule ist die Schnellausbildung von minderqualifizierten Kandidaten aus dem regionalen Einzugsgebiet.
Die statistische Lebenserwartung liegt etwa bei 90 Jahren. Stellen künftig ältere Arbeitnehmer eine Arbeitskraftreserve dar?
Ja. Bei einer statistischen Lebenserwartung von um die 90 Jahren im Jahr 2025 werden viele Mitarbeiter in Projekten oder Teilzeit bis zu einem Alter von 75 oder 80 arbeiten wollen oder auch müssen. Da kommen dann Unternehmen und Mitarbeiter, die noch Jobs brauchen, gut zusammen.
Was bedeutet ein anhaltender oder noch größerer Fachkräftemangel in Anbetracht der demografischen Entwicklung für Unternehmen?
Die Zusatzkosten für Firmen, die künftig alle drei Jahre 30 bis 45 Prozent ihrer Mitarbeiter in einem leergefegten Arbeitsmarkt neu rekrutieren müssen, und Betriebskindergärten, Wohnung und dergleichen zusätzlich anbieten, wären natürlich gigantisch. Ziel ist es jedoch, mit einem Bruchteil des Budgets und der passenden Strategie die Abwanderungsquote zu senken. Am besten funktionieren diese Strategien in Verbindung mit einer verstärkten Regionalität. 42 Prozent der Generation Y und 54 Prozent der Generation Z sind sich sicher, dass sie ihren Arbeitsplatz wechseln werden. Um diese Arbeitskräfte zu motivieren, müssen Betriebe vor allem die Unternehmenskultur schaffen, in der sich alle Generationen wohlfühlen.
Autorin: Kerstin Rathje-Wesselow
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